Semi lebte viele Jahre bei einem Rentner, der ihm wohl einiges durchgehen lies und recht verwöhnt gehalten hat. Als der Mann starb, landete der Hund - nach kurzem Zwischenstopp bei der Tochter des Mannes, die mit diesem Hund überhaupt nicht zurecht kam - im Tierheim. Der braune Hund mit der kupierten Rute kam am Sonntag den 10.04.2005 zu uns. Was er zuvor erlebt hatte, war wohl nicht immer das Beste für ihn gewesen. Eigentlich wollte ich diesen Hund nicht haben, er war mir bei diversen Tierheim Besuchen immer wieder negativ aufgefallen. Doch als er dann im Empfangsraum so vor uns stand, sehr interessiert um sich sah und vor allem mit Lady auf Anhieb klar kam, da sagte auch ich leise “Ja” zu ihm. Semi ist 10 Jahre alt und hat Probleme mit der Leber. Er ist auch so ein Hund, der kaum eine Chance auf ein neues Zuhause hatte und saß schon über 15 Monate im Tierheim, bevor er bei uns als Pflegling landetet. Inzwischen haben wir ihn mit Schutzvertrag übernommen und er bleibt bei uns, bis zu seinem letzten Tag.
Zuhause wartete an diesem Sonntag Muttis Chicca auf uns, sie ist verträglich mit allen Hunden und freute sich lautstark hinter der geschlossenen Haustür. Zuerst wurde Mathildas Transportbox ausgeladen, danach Semi mit seiner Box und dann durfte unsere Lady aus dem Transporter aussteigen, während Micha die kleine Chicca zu den neuen Hunden dazu lies. Es passierte nichts. Semi begoß sämtliche Sträucher im Vorgarten, Mathilda weigerte sich ihre Box zu verlassen und Lady stürmte ins Haus, während Chicca neugierig in Mathildas Box lugte. Dann nahm Semi kräftig Anlauf und verließ mit einem riesen Satz unser Grundstück. Er kam allerdings nur bis zum Nachbarhoftor, da wurde er abrupt durch doppeltes, wütendes Gebell gestoppt und ich konnte ihn wieder greifen. Damit stand fest, dieser Hund würde nie ungesichert im Vorgarten sein können. Hinten im Garten sind die Zäune erheblich höher und bis heute hat er unser Grundstück auf diesem Weg auch nie wieder verlassen.
Die beiden neuen Hunde erkundeten unabhängig voneinander ihr neues Zuhause. Semi eroberte den Garten Stück für Stück als sein neues Revier und scherte sich einen Teufel um die anderen Hunde. Als er seine Erkundungstouren erledigt hatte, legte er sich auf der Terrasse in die spärliche Sonne und kümmerte sich um nichts. Egal ob ein Mensch oder ein anderer Hund an ihm vorbei lief, er hob nicht einmal den Kopf. Dann kam meine Ma und holte ihre Chica ab - die wie so oft bei uns über´s Wochenende "deponiert" war und Ma verlor in der ersten Sekunde ihr Herz an diesen Hund. Und Semi? Der stand auf, ging zu meiner Ma, legte ihr seinen Dickschädel aufs Knie und lies sich kraulen. Meine Ma war die erste Person zu der er hin ging, an der er Interesse zeigte, alles andere war ihm bis dahin völlig egal.
Abends erlebten wir mit diesem Hund eine böse Überraschung. War er bis dahin desinteressiert bis stoisch, wurde er nun böse. Er saß wie eine kleine Furie auf dem Sofa und als wir uns ihm näherten, sahen wir nur noch Zähne. Was war denn nun los? Erstaunt bis erschrocken standen wir der überraschenden Situation gegenüber. Mein Junior verlies das Wohnzimmer, mein Mann blieb ohnehin auf Abstand und mit viel guten Zureden versuchte ich Semi irgendwie zu greifen. Keine Chance, der Braune haute die Klappe zu, dass die Zähne nur so aufeinander krachten. Erwischt hat er mich nicht, aber zweimal ging es nur haarscharf daneben. Auch mit energischen Worten war nichts zu erreichen, im Gegenteil, es wurde immer schlimmer und der braune Hund rastete immer mehr aus. Micha holte die Leine mit der Hoffnung, dass Semi es als Gassi - Aufforderung auffassen und vom Sofa herunterkommen würde. Keine Chance, er saß da oben und wich keinen Millimeter, brummte grimmig und mit weit aufgerissenen Augen und zeigte uns weiterhin sein schönstes Lächeln. Mit Hilfe der Leine, die ich zu einer Schlinge machte und ihm überwarf, bekam ich ihn zu fassen und holte ihn vom Sofa herunter. Kaum auf dem Boden war er wieder brav. Sein Blick hatte Panik, die Bürste stand immer noch hoch. Irgend etwas sagte uns, dieses blöde Verhalten hatte einen Grund. Nur welchen?
Zwei Abende später kamen wir durch Zufall dahinter, warum der Hund so ausrastete. Wir waren im Garten, Semi nicht. Der stand mit sehnsüchtigen Augen an der Terrassentür. Er wäre ja gern zu uns raus gekommen, doch er traute sich nicht. Den ganzen Tag über war er hinter mir hergetappert, rein und raus, der friedlichste Hund unter der Sonne. Keine Anzeichen von Aggression, kein Brummen, kein gar nichts. Was war jetzt anders? Warum traute er sich jetzt nicht mehr in den Garten, obwohl er uns den ganzen Tag gefolgt war? Warum legte er die Ohren nun an, riss er die Augen wieder so weit auf und kniff sein Stummelchen ein? Langsam gingen wir in großen Bögen auf ihn zu, beachteten ihn überhaupt nicht, taten als würden wir Unkraut rupfen, doch je näher wir kamen umso größer wurden die Augen, umso mehr kniff er sein Stummelchen ein und umso härter legte er die Ohren an. Schließlich flüchtete er ins Wohnzimmer aufs Sofa und spielte wieder verrückt. Die Erklärung war denkbar einfach, Semi hatte Angst vor der Dämmerung und Dunkelheit. Wir vermuten inzwischen, dass die Tochter des Verstorbenen - bei der unser brauner Bär ja zwischenzeitlich untergebracht war - ihn regelmäßig abends aussperrte und Semi deshalb so überspannt reagierte. Nach einigen Wochen hatte sich das gelegt, Semi durfte konsequent nicht mehr aufs Sofa, begriff dann auch nach und nach, dass er nicht mit Gewalt aus dem Haus musste und jederzeit - auch im Dunkeln - wieder herein kommen darf.
Im Alltag war der braune Hund anfangs alles andere als einfach. Er warf sich ohne Vorwarnung gegen vorbeifahrende Fahrzeuge und er ging gegen alles und jeden. Viel schien er nicht zu kennen und er war mit den vielen normalen Umweltreizen sichtlich überfordert. Wir brauchten viel Geduld und Ruhe, um aus ihm in den letzten Monaten das zu machen, was er heute ist. Semi wird nie zu 100% zuverlässig werden, aber aus dem verschreckten, völlig unberechenbaren Hund wurde inzwischen - zumindest Zuhause - ein fast normaler Familienhund. Klar, er hat immer noch seine Macken und spinnt hin und wieder, aber er beißt nicht mehr nach uns. Draußen orientiert er sich stark an uns, schaut - wenn etwas fremdes auf ihn zu kommt - zu uns hin und behält inzwischen zu 89% die Nerven. Wenn wir eine Feier im Haus haben oder unter viele Menschen mit ihm müssen, trägt er zur Sicherheit einen leichten Maulkorb.
Mit Männern scheint er echte Probleme zu haben, er mag sie wirklich nicht. Mit Kindern ab ca. 7 Jahren geht es begrenzt und er lässt sich zögernd streicheln. Doch wir müssen sehr aufpassen, denn sobald ein Kind eine hektische Bewegung macht, wird es kritisch. Semis Blick zeigt deutlich wann es Zeit wird, ihn aus einer Situation heraus zu nehmen. Vieles ist inzwischen um Welten besser geworden, doch für den 10 jährigen Hund ist es sehr schwer umzudenken, dazu zu lernen und nicht sofort in Panik und Aggression zu verfallen, sobald etwas auftaucht, dass er nicht zuordnen kann. Inzwischen spielt er unbeholfen und sehr grob mit dem Bällchen. Semi spielt mit Lady ab und zu im Garten und Socken liebt er heiss und innig. Sobald er irgendwo eine Socke erwischen kann, ist es ihr tot. Semi hat eine ausgeprägte Lernschwäche, die in seinen Ängsten basiert und er braucht um vieles länger um ein gegebenes Kommando umzusetzen und es überhaupt zu erlernen und zu verstehen. Teilweise verbindet dieser braune Hund völlig falsch und setzt dann gegebene Kommandos natürlich auch falsch um. Dieser Hund geht in seiner Angst nicht rückwärts sondern vorwärts, gegen das was ihm Angst macht. In seiner Unsicherheit knabberte er sich immer wieder die Beine auf - mittlerweile sind die zahlreichen Stellen größtenteils verheilt und es wächst auch wieder Fell darauf. Dieser Hund brauchte sehr lange um Zuhause “anzukommen”, einfach zu verstehen, er darf bleiben und niemand will ihm etwas böses. Mittlerweile ist er unser dicker Schmusebär, der sich ab und zu aufs Sofa mogelt und mit der Pfote gegen unsere Hände stupst, damit wir ihm den Pelz kraulen.
Bei bestimmten Worten legt er den Kopf schräg und lauscht mit steil aufgestellten Ohren. “Gassi” versteht er und kommt immer freudig an. Worte wie: “Autofahren” und “Leckerchen”, “weg gehen” und “Schlafen gehen” sowie “Wer kommt?” führen regelmäßig dazu, dass er sich fast den Hals verrenkt und die Ohren ganz steil stellt. Dann hat er ein ausgesprochen hübsches Gesichtchen und gar nichts mehr unsympathisches an sich. Inzwischen wedelt sein Stummelchen sehr viel, er freut sich und kommt auf Zuruf heran. Unser brauner Senior fühlt sich sichtlich wohl und hat sich gut mit den vorhandenen Hunden bei uns Haushalt angefreundet. Im kommenden April ist er ein Jahr hier, ein Jahr, dass uns sehr viel Geduld und Arbeit gekostet hat. Jeder kleine Fortschritt machte Semi wieder ein Stückchen mehr zum normalen, friedlichen und umgänglichen Familienhund.
Im Dezember 2006 wurde festgestellt, dass Semi´s Schilddrüsenwerte recht schlecht waren. Seither bekommt er L-Thyroxin und er lässt seitdem seine Beine weitgehend in Ruhe. Die Gabe des Medikamentes brachte auch andere Veränderungen mit sich, die Aggressionsschwelle sank deutlich, er bleibt viel beherrschter und ruhiger, er nahm ab und hatte plötzlich erkennbare Formen. Außerdem wurde er deutlich munterer und auch viel ausgeglichener, zugänglicher und fröhlicher.
Seit Februar 2007 benötigt unser dicker Hund ein leichtes Herzmedikament. Und im September kam ein weiteres Herzmedikament hinzu, da er sogenanntes Herzklappenrauschen hat, heißt, die eine Klappe schließt nicht mehr richtig. Im August fing er plötzlich an zu lahmen. Zunächst wurde es auf Überlastung zurück geführt, da er aber sehr ungleichmäßig lahmte, nämlich tagelang nicht, dann wieder so schlimm, dass er gar nicht aufreten konnte - kam der Verdacht auf Knochenkrebs auf. Erst eine zweite Röntgenaufnahme brachte Licht ins Dunkel: Er leidet unter einer langwierigen Knochenhaut und Gelenkentzündung in der Schulter, die auch bis zum heutigen Tage nicht völlig ausgeheilt werden konnte. Jetzt im Dezember 2007 hat er erstmalig die magische Gewichtsgrenze von 20 Kg unterschritten. Mit 18,9 Kg liegt er endlich und zum erstenmal im Gewichtslimit seiner Größe, was für sein angeschlagenes Bein und auch sonst für ihn sicher besser ist.
In den letzten 2,5 Jahren hat dieser Hund sich um 150° verwandelt. Semi tappert ruhig und friedlich mit mir durch den größten Trubel. Nach mir greifen sollte allerdings nach wie vor niemand - das nimmt er hochgradig übel. Sein Frauchen ist sein Frauchen - da diskutiert und fackelt er nicht lange drum herum.
Anfang 2008 konnten in seiner Schulter per Röntgenaufnahme nun doch deutlich sichtbare Knochenveränderungen festgestellt werden. Nun war klar, es war Knochenkrebs, langsam fortschreitend zeigte er sich bei jedem Röntgen immer deutlicher. Wir wußten, die Uhr tickt... Ab sofort hieß es, die Zeit mit ihm so gut wie möglich verbringen. Sie ihm so lange wie irgend möglich schmerzfrei gestalten. Lebensqualität nicht Quantität! Durch die permanente Schonhaltung seines Beines trat auch immer wieder die Knochenhautentzündung auf. Wir fanden nach langem hin und her diverser Schmerzmedikamente nur Eines das wirklich half: Voltaren. Eigentlich nicht für Hunde gedacht, doch es brachte Semi als einziges Mittel eine unbeschwerte, schmerzfreie Zeit. Er tollte umher, freute sich übers Gassigehen, hatte sichtbar Spaß am Leben. Und Semi alterte im Jahr 2008 sichtbar. Sein Gehör lies stark nach, er ergraute zusehends, aber er war fröhlich und gut drauf. Alberte herum, trabte mit Schwung durch seinen Garten. 2008 war auch für ihn schwer. Er mußte sich binnen kurzer Monate erst von seinem geliebten Tildchen verabschieden, was ihn ziemlich fertig machte, dann auch noch von Lady. Sein vertrautes Hunderudel war bis auf Nora plötzlich nicht mehr da. Bereits im Januar 2009 mußten wir den Tierarzt aufsuchen, denn Semi hustete und hustete und hustete. Seine Herzmittel reichten nicht mehr aus, er bakam stärkere Medikamente. Immer mal wieder litt unser Bub auch unter Bauchkrämpfen die immer Abends auftauchten, gegen die nur eines half: Laufen. So trabte ich denn öfter mit ihm in späten Abendstunden um den Block. Was auch immer zur Auflösung seiner Bauchschmerzen führte. Bis im März eines Abends auf so einer Gassirunde statt Kot pures Wasser übers After ausgeschieden wurde. Farblos, geruchlos, flüssig - Wasser eben. Ein großer Schwall, danach lief Semi aber entspannt weiter, als wäre nichts geschehen. Die Schmerzen wie weggewischt. Natürlich stellte ich ihn wieder einem Tierarzt vor, das was hier geschehen war, lies mir keine Ruhe. Im Blutbild war nichts stark verändert, jedenfalls nicht so, dass man daraus irgendwas als Ursache hätte ableiten können.Die Nieren und Leberwerte waren schon länger nicht in Ordnung und stark erhöht, das wußten wir ja alles seit Jahren. Auch Abtasten und Röntgen brachte nichts hervor, was neu gewesen wäre. Da es ihm danach wieder gut ging und er keine weiteren Krämpfe mehr hatte, liesen wir es bei dem Check-up bewenden.
Ende April besuchten wir noch Semis Gassigeher und der Hund freute sich sehr. Doch an diesem Tag merkten wir schon, irgendwas stimmt nicht, denn er legte sich auf der Heimfahrt im Auto hin. Etwas was er nie getan hatte - Semi saß bestenfalls mal im Auto, aber er hat nie zuvor im Wagen gelegen. Ab dem nächsten Tag ging alles rasend schnell. Er zeigte Bauchschmerzen an, fras nur noch schlecht, konnte kaum Kot absetzen und wenn entweder als Durchfall oder bleistiftdünne "Würstel" und immer wieder Wasser das über den After abging. Jeden Tag waren wir beim TA - am Tag 8 meinte dieser: "Ich weiß nicht mehr weiter, wir können nicht lokalisieren wo der Schmerz herkommt. Was er hat und wo es sitzt. Ich überweise sie jetzt an die Tierklinik" Denn wieder war nichts zu finden in Semis aufgedunsemen, schmerz und druckempfindlichen Bauch. Ich bat noch einmal um ein großes Blutbild zum Abgleich, denn 4 Tage vorher hatten wir ein kleines Blutbild erstellen lassen, dessen Werte horrend schlecht gewesen waren. Nach Rücksprache mit unserem Blutspezialisten, dem ich das große Blutbild faxte und dann anrief, war klar, hier konnte kein Arzt mehr helfen. Die Werte die wir erhielten waren so schlecht, dass klar war, es geht zu Ende. Die Nierenwerte hatten sich innerhalb der 4 Tage ums dreifache verschlechtert - die Nieren arbeiteten nicht mehr. Unser dicker Hund war nicht mehr dick, 9 Kilo hatte er innerhalb 10 Tagen verloren.. er mochte nicht mehr aufstehen, war kraftlos, sackte mir einmal zusammen als ich mit ihm zum TA wollte und er mochte am liebsten nur noch liegen, gekrault werden und lieb gehalten werden.. wir boten ihm alles mögliche an Delikatessen an, außer Cornedbeef, was irre salzig ist, mochte er nichts mehr zu sich nehmen.
Semi hat seine Reise ins Regenbogenland am 06.05.2009, auf den Tag genau 10 Monate nach Tildchen, angetreten. Er schlief friedlich ein, Micha und ich waren bei ihm. Unser großer Hund fehlt uns sehr, doch da wo er jetzt ist, hat er keine Schmerzen mehr. Seit 20.05.2009 ist Semi wieder daheim, in seiner kleinen Urne.
Semi war ein Charakterhund. Ein echtes Unikat, mit Ecken und Kanten - aber auch liebenswerten und netten Seiten. Wir haben uns irgendwie irgendwann miteinander arrangiert & etwas später auch wirklich zueinander gefunden und zum Schluß hin keine Probleme mehr miteinander gehabt. Ganz im Gegenteil, so einen Hund wie unseren Dicken kriegen wir nie mehr.. er hat uns alle sehr geliebt, uns sein ganzes Herz geschenkt und wir lieben ihn ebenfalls von ganzem Herzen.
*** Ende ***